Gruppenbild der ARD Gremienvorsitzenden 2023. | Bildquelle: ARD

„Die Gremien der ÖRR – Geschichte eines beschwerlichen Weges“

Derzeit wird im Zusammenhang mit den Entwicklungen im rbb auch über die Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ihre Aufgaben und Zuständigkeiten diskutiert. Daher lohnt es sich, einen Blick auf die Historie der Gremien seit Beginn des öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach dem 2. Weltkrieg, ihre damals beabsichtigte Funktion, ihre Entwicklung in der Folgezeit und ihre Aufgaben nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu werfen. Jürgen Betz, ehemaliger Justiziar des Hessischen Rundfunks, der den hr in der Historischen Kommission vertritt, blickt zurück.

Die Alliierten, die Ende der 40er Jahre massiven Druck auf die Länder ausgeübt haben, um einen unabhängigen, vor allem staatsfreien Rundfunk zu schaffen, waren der Auffassung, dass der Rundfunk im öffentlichen Interesse liegt und Aufgaben wahrzunehmen hat, die für die Allgemeinheit und die noch junge Demokratie von unverzichtbarer Bedeutung sind. Rundfunk sollte ein unabhängiges und objektives Informations- und Kommunikationssystem sein, das von allen finanziert und transparent kontrolliert wird. Er sollte frei von den Wünschen irgendeiner Partei, von Interessengruppen, eines Glaubens oder von bestimmten Weltanschauungen sein, vor allem aber kein Werkzeug der Regierung. Der Rundfunk sollte in freier offener und furchtloser Weise dem ganzen Volk dienen und Meinungsvielfalt gewährleisten. Die 1948 und 1949 durch Ländergesetze geschaffenen Rundfunkanstalten sollten vom Volk durch Vertreter aller Schichten, also vielfältigen Kräften, d.h. von der Gesellschaft und nicht vom Staat überwacht werden. Dementsprechend wurden damals die Rundfunk- und Verwaltungsräte aus den sog. gesellschaftlich relevanten Kräften zusammengesetzt und in den Gesetzen wurde klargestellt, dass die Gremienmitglieder unabhängige Vertreter der Allgemeinheit und nicht Vertreter der sie entsendenden Institutionen sind. Dies war damals den deutschen Politikern nur schwer zu vermitteln, die sich eine staatsunabhängige öffentlich-rechtliche Institution Rundfunk nicht vorstellen konnten.

Schon in den 50er Jahren wurden die Bedenken in der Politik gegen den von den Alliierten für unverzichtbar gehaltenen staatsunabhängigen Rundfunk und dessen Gremienzusammensetzung immer lauter. So saßen schon 1956 im neu gegründeten WDR ausschließlich Politiker in Rundfunk- und Verwaltungsrat und nicht mehr die gesellschaftlich relevanten Kräfte. Und auch die Gremien des 1961 von den Ländern gegründeten ZDF wurden alles andere als staatsunabhängig zusammengesetzt.

Diese Entwicklung zum Typ des staatlich-politischen Rundfunkrats setzte sich bei der Novellierung vieler Rundfunkgesetze ab den 60er Jahren durch und fand erst ihr spektakuläres Ende durch das legendäre ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2014. Dieses sprach ein klares Machtwort und erklärte die Zusammensetzungen von Fernseh- und Verwaltungsrat wegen zu großen Staatseinflusses für verfassungswidrig. Staatsnahe Vertreter dürfen seither in den Rundfunk- und Verwaltungsräten nur noch maximal ein Drittel der Sitze haben. Aufgrund dieses – eigentlich längst fälligen – Urteils mussten alle Rundfunkgesetze und Staatsverträge überarbeitet werden.   

Wie schon in den 90er Jahren hat das BVerfG in seinem ZDF-Urteil erklärt, dass der Gesetzgeber sicherstellen muss, dass in einer binnenpluralen Rundfunkorganisation den Gremien als Sachwalter der Allgemeinheit ein effektiver Einfluss auf die Wahrnehmung des Rundfunkauftrags eingeräumt wird. Sie sollen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen, darauf achten, dass die Vielfalt der Meinungen in den Programmangeboten zum Ausdruck kommt und einseitiger Einflussnahme auf das Gesamtprogramm entgegenwirken, wie dies schon die Alliierten formuliert hatten. Die Leitung der Geschäfte obliege nicht allein einer Intendantin oder einem Intendanten, sondern binde diese/n in eine gesetzlich näher konkretisierte Aufsicht durch plural zusammengesetzte Gremien ein und unterwerfe sie/ihn damit einer Kontrolle. Es bedürfe der Sicherstellung eines effektiven Einflusses der zuständigen Gremien auf die Wahrnehmung des Rundfunkauftrags. Allerdings bleibe die Programmgestaltung im Einzelnen Sache der Intendanten, so das BVerfG.

Die Gremien sollen also – im Interesse des Public Value – die Verbindung zwischen den Anliegen, Erwartungen und Ansichten der Gesellschaft, also den Bürgerinnen und Bürgern, und dem Programmbetrieb und seinen Inhalten sichern. Ihre Mitglieder müssen nach der Rechtsprechung weisungsfrei von ihren entsendenden Institutionen sein und dürfen nur aus wichtigem Grund abberufen werden.

Den Gremien kommt also eine sehr wichtige Aufgab bei der Erfüllung des Rundfunkauftrags zu. Sie müssen ihre gesetzlichen Kompetenzen nutzen, zu denen u.a. auch die Entscheidung über die Etats der Sender gehört, in denen festgelegt wird, wofür die zur Verfügung stehenden Finanzmittel verwandt werden. Die Länder haben vor Kurzem im 3. Medienrechtsänderungsstaatsvertrag den Gremien weitere Kompetenzen eingeräumt, die diese nunmehr nutzen und ausfüllen müssen. Nach dessen § 31 haben die Gremien u.a. die Aufgabe, Richtlinien für die Angebote aufzustellen und die Intendanten in Programmfragen zu beraten. Neu ist, dass die Richtlinien „die Festsetzung inhaltlicher und formaler Qualitätsstandards sowie standardisierter Prozesse zu deren Überprüfung umfassen“, heißt es dort. Damit wollen die Länder ganz bewusst die Gremien stärken. Deren Aufsicht erfordere – gemäß der erwähnten Rechtsprechung des BVerfG – einen wirksamen Einfluss auf die Wahrnehmung des Rundfunkauftrags im Sinne von § 26, führt die Begründung zu § 31 aus; dabei komme Vielfalt, Qualität und gesamtgesellschaftlicher Reichweite der Angebote besondere Bedeutung zu. Und auch im Wirtschafts- und Finanzbereich sollen die Gremien an der Erarbeitung von Maßstäben mitwirken, die die Einhaltung von Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Ressourceneffizienz gewährleisten.   
 
In der aktuellen Diskussion um die Vorkommnisse beim rbb wurde auch die Frage gestellt, ob dessen Gremien ihre Aufsichtsfunktionen in der erforderlichen Weise ausgeübt haben und ob sie dazu überhaupt in der Lage sind. Kritiker bezweifeln, dass die Gremien der Sender bislang ihren Aufgaben der Kontrolle und des Einflusses auf die Erfüllung des Rundfunkauftrag ausreichend nachkommen. Einzelne Gremienmitglieder des rbb- Rundfunkrats haben im Herbst 2022 offen eingeräumt, dass sie nicht in ausreichendem Maße über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, um ihre Aufgaben und Kontrollfunktionen in der erforderlichen Weise zu erfüllen. Diese Erkenntnis dürfte nicht nur für die Gremien des rbb gelten. Es wird daher in Zukunft wesentlich darauf ankommen, dass die Gremienmitglieder über breiten Sachverstand verfügen, die sie in die Lage versetzen, auf Augenhöhe mit den Geschäftsleitungen der Rundfunkanstalten zusammenzuarbeiten und auch ihre neuen Zuständigkeiten auszuüben. Dazu müssen die entsendungsberechtigen Institutionen darauf achten, dass sie nur Vertreter in die Gremien schicken, die sich für diese Aufgabe interessieren und bereit sind, sich dafür zu engagieren; die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei darf kein Kriterium mehr sein, wie dies in der Vergangenheit häufig der Fall war.

Die Gremien müssen, wie die Länder nun im 4. Medienrechtsänderungsstaatsvertrag ausdrücklich regeln wollen, personell und strukturell in der Lage sein, die ihnen zugewiesenen Aufgaben umfassend zu erfüllen. So sollen in die Verwaltungsratsmitglieder ausreichende Kenntnisse im Bereich der Wirtschaftsprüfung, der Betriebswirtschaft, des Rechts und der Medienwirtschaft oder Medienwissenschaft haben und generell sollen sich die Gremienmitglieder regelmäßig fortbilden. Ferner sollen auch die Geschäftsstellen der Gremien angemessen mit Personal- und Sachmitteln ausgestattet werden.

Man kann abschießend festhalten, dass das, was die Alliierten schon von 75 Jahren gefordert und als Aufgabe der Rundfunkgremien festgelegt haben, nichts an Aktualität verloren hat. Heute sind allerdings durch die Entwicklungen der elektronischen Medien und ihrer Verbreitungswege die Aufgaben der Gremien sehr viel größer und komplexer geworden, so dass die beschriebene Optimierung ihrer Kompetenzen und Mitspracherechte erforderlich ist, damit sie ihre Aufgaben auch erfüllen können. Es bleibt zu hoffen, dass diese neu justierte Zusammenarbeit mit den Geschäftsleitungen der Sender in Interesse der Erfüllung des unverändert wichtigen Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gelingt und Früchte trägt. 

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