100 Jahre Radio. | Bildquelle: SWR

„100 Jahre Radio“ – Ein Jubiläum zwischen historischen Mahnungen, düsteren Prognosen und genug Gründen zu feiern

In seiner hundertjährigen Geschichte war das Radio in Deutschland Freiheitsversprechen und Propagandamittel zugleich sowie ein Ort für kühne Träume. Von den Nationalsozialisten für ihre Terrorherrschaft missbraucht wurde, es nach dem Krieg Botschafter von Demokratie und Rock’n’Roll. In einem Resümee des Jubiläums attestierte die „Süddeutsche Zeitung“ dem Jubilar, ein „rüstiger Hunderter“ zu sein. Hans Sarkowicz vom Hessischen Rundfunk, der maßgeblich an einem Buch zur 100-jährigen Geschichte des Radios beteiligt war, wirft einen Blick zurück und zieht eine Bilanz aus seiner ganz persönlichen Sicht.

Als die ersten Ideen auftauchten, wie das Radiojubiläum angemessen zu begehen sei, überwog die Skepsis. War es richtig, mitten im digitalen Wandel von Radiosendern und -programmen an die Geschichte eines Mediums zu erinnern, für dessen lineare Zukunft es düstere Prognosen gab? Die Vorbereitungen in den einzelnen Häusern und den dafür ausgewählten Redaktionen verliefen deshalb auch zunächst schleppend. Das hatte neben der ungewissen Stellung des Radios in den „Change“-Prozessen noch einen anderen Grund: die politische Vereinnahmung des Radios in Deutschland von seiner Gründung bis zum Ende der DDR.

Schon in der Weimarer Republik waren die Gestaltungsmöglichkeiten für Radiosendungen stark eingeschränkt gewesen. Der „Unterhaltungsrundfunk“, der am 29. Oktober 1923 seinen Sendebetrieb in Berlin aufgenommen hatten, war zunächst zu politischer Abstinenz gezwungen, verschiedene Gremien überwachten die Programme und besaßen sogar das Recht der Vorzensur, das „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ lieferte eine weitere Handhabe gegen unliebsame Inhalte, und schließlich schuf die Verstaatlichung der zunächst privaten Sendehäuser die Voraussetzung für den neuernannten NS-Propagandaminister Redaktionen und Führungspositionen mit Nationalsozialisten zu besetzen. Die Radioprogramme wurden „gleichgeschaltet“ und dienten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als „allermodernstes Massenbeeinflussungsmittel“ (O-Ton Goebbels). Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ entstand in den Westzonen auf Druck der Alliierten der demokratisch legitimierte öffentlich-rechtliche Rundfunk, während in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR die Radioprogramme den Aufbau des Sozialismus befördern sollten und deshalb politisch eng geführt wurden.

Vor diesem Hintergrund gingen die klugen Überlegungen der mit dem Jubiläum befassten Radiomacherinnen und -macher in drei Richtungen. Die negativen Seiten der deutschen Rundfunkgeschichte sollten nicht ausgeblendet, sondern deutlich benannt werden. Aber nicht weniger wichtig war es, die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leistungen des Radios herauszustellen:
So wurde die Entwicklung Westdeutschlands zu einer stabilen Demokratie durch politische Radiosendungen mitgeprägt.

Die heute zum selbstverständlichen Kanon gehörende Nachkriegsliteratur mit Namen wir Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger oder Siegfried Lenz hätte ohne das Mäzenatentum in den Kulturredaktion eine viel bescheidenere Bedeutung erlangt. Und es waren Radioredaktionen, die auch in der Hochphase des Wirtschaftswunders mit Diskussionssendungen, Features und Berichten die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen wachhielten.

Neben diesen beiden historischen Aspekten stand von Anfang an auch die Zukunft des Radios als Thema im Mittelpunkt der Überlegungen. Es zeigte sich in den öffentlichen Veranstaltungen und in den Sonderprogrammen, dass Opas Radio keineswegs tot ist, sondern höchst lebendig und wandlungsfähig, dass es nicht auf die lineare Übertragung angewiesen ist, sondern sich mit Audiothek und Podcasts auch neue Verbreitungswege im Netz sucht. Und nicht zuletzt wurde immer wieder herausgestellt, dass die persönliche Ansprache durch Moderatorinnen und Moderatoren auch in Zukunft die große Stärke des Radios bleiben wird, in Konkurrenz zu Spotify und Co. als reine Abspielplattformen.

Diese Überlegungen zum Radiojubiläum waren genau die richtigen. Das zeigten nicht nur die zahlreichen Sendungen auf fast allen ARD-Wellen, sondern auch die ausführlichen Berichte in der Presse. Die HÖRZU als auflagenstarke Programmzeitschrift widmete der Radiogeschichte sogar zwei Seiten im vorderen Teil. Anlass war neben dem Jubiläum auch das Buch „100 Jahre Radio in Deutschland“, das die Historische Kommission der ARD angeregt hatte.

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