Carola Stern. | Bildquelle: WDR/dpa

 „Eine öffentliche Intellektuelle“ – Die  Rundfunkjournalistin Carola Stern (1925-2006)

Carola Stern war eine der wichtigsten Journalistinnen der Nachkriegszeit. Es gab wohl keine deutsche Publizistin von vergleichbarer Breitenwirkung im Spannungsfeld von Literatur und Politik, deren politisches und intellektuelles Engagement ihre Zeit so sehr prägte. Sie war Mitbegründerin von „Amnesty International“ und der Literaturzeitschrift „L 76“, dann „L 80“, die sie zusammen mit Heinrich Böll und Günter Grass herausgab. 1970 kam sie zum Westdeutschen Rundfunk arbeitete dort als Redakteurin und Kommentatorin. Dazu brillierte sie als Autorin: mit Büchern über Willy Brandt und Gustav Heinemann und TV- Dokumentationen zum geteilten Deutschland. Wolf Scheller, der mit Carola Stern in einer Redaktion zusammenarbeitete, erinnert sich an seine Kollegin.

Carola Stern kam 1970 zum Westdeutschen Rundfunk. Fünfzehn Jahre lang war sie dort in der Redaktionsgruppe Kommentare und Feature tätig. Als sie im Januar 2006 starb, schrieb der damalige Intendant des Kölner Senders Fritz Pleitgen in einem Nachruf: “In dieser Zeit wurde sie – als erste Frau in diesem „Männerjob“ – dem Radio- und Fernsehpublikum als engagierte und couragierte politische Kommentatorin bekannt, die in klarer und verständlicher Sprache ihre Meinung zu vertreten verstand.“ Solches Lob hätte sie zu Lebzeiten sicherlich auch gerne gehört. Als eine Kollegin sie später fragte, mit welchen Gedanken und Gefühlen sie auf die WDR-Zeit zurückblicke, betonte sie ihrerseits ihre Dankbarkeit für ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten, von gewachsenem Selbstbewusstsein durch Verständnis, Anerkennung, eine  fast freundschaftlich zu nennende Kollegialität.

Doch bedrückte sie im Nachhinein, wie sie in ihrer Autobiographie schrieb: “Hatten wir zu allen Zeiten genügend politische Distanz gewahrt? Um was es immer ging – waren wir genügend unangepasst, unbefangen in unserer Meinung, in unserer Themenwahl geblieben? Welch hohes Gut Unabhängigkeit in unserem Beruf bedeutet – vielleicht begriff ich es erst ganz im Nachhinein.“ Carola Stern nahm jedenfalls kein Blatt vor den Mund. Präzise Gedanken, persönlich engagiert. Ihr Kollege Volker Mauersberger schrieb damals: “Jene Jahren im WDR waren für Carola Stern wohl die schönste Zeit ihres Berufslebens, da sie der Faszination des Journalismus und des damaligen Radio verfallen war. Es war nicht nur das Flair dieser wundervollen, lebendigen Stadt Köln, sondern das Reizklima eines toleranten, vom Zeitgeist der Außerparlamentarischen Opposition erschütterten WDR, was uns damals als Journalisten durchgeschüttelt hat. In der größten deutschen Rundfunkanstalt, deren Programme noch nicht durch die Allmacht des Fernsehens bedroht waren, wurde höchst kontrovers gedacht und gestritten.“ Die durchaus streitbare und streitfähige Kollegin wurde noch von ganz anderen Sorgen gequält: “Noch an meinem Schreibtisch in der Redaktion fragte ich mich manchmal, ob die Administration, die Bürokratie des Großbetriebes WDR mit seinen viertausend Mitarbeitern nicht zuweilen die Kreativität bedrohe.“

Carola Stern verschwieg in ihren Erinnerungen auch nicht eigene Schwächen: “Zugegeben, technisch bin ich eine Null. Weder kann ich eine Waschmaschine bedienen noch Auto fahren. Ich besitze auch kein Handy. Unter Schwierigkeiten lernte ich mit  siebenundsechzig, auf einer elektrischen Schreibmaschine zu tippen. Einen Computer würde ich schon deshalb niemals kaufen, weil mich die Angst vor Viren und Abstürzen nachts nicht schlafen ließe.“ Und trotz aller Ängste klappte es. Jedenfalls habe sich im WDR keiner über ihr technisches Desinteresse und Ungeschick beschwert. Auch stand Carola Stern nicht auf Kriegsfuß mit der modernen Technik. Eher hielt sie auf Distanz – und bekannte sich zu ihren Schwächen: “Ich kenne nicht die cleane Welt eines Digitallabors, in der der Audio-CD-Rohling zu Hause ist und Dave Parker das Audio-Check-System bedient, während seine Kollegin die Synchronitätsprüfung am guten alten 16-mm-Schneidetisch vornimmt und Marc Daniels am Einspiel-Digitalisierungssystem Magnetbänder für die Ewigkeit präpariert“. “Nein, für die Ewigkeit war damals niemand zuständig im WDR.“ Das ist auch heute noch so!

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