Ein Multitalent und Großintellektueller beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Alexander Kluge und die Anfänge beim Süddeutschen Rundfunk
Von Dr. Thomas Combrink
Alexander Kluge, der 1932 geboren wurde, und Hellmut Becker, der von 1913 bis 1993 lebte, haben sich in dem Buch „Kulturpolitik und Ausgabenkontrolle“ von 1961 mit der „Theorie und Praxis der Rechnungsprüfung“ beschäftigt. Im sechsten Kapitel geht es um den Rundfunk. Kluge führt die Interessen am öffentlichen Recht aus seiner Dissertation von 1958 fort. Dort ging es um die Selbstverwaltung der Universität. Auch in „Kulturpolitik und Ausgabenkontrolle“ spielt die Beziehung eine Rolle, die der Staat zu Institutionen wie Schule, Universität, Theater oder auch dem Rundfunk hat. Hier stehen die Rechnungshöfe und die Rechnungsprüfung im Mittelpunkt. Beim Rundfunk liegt ein besonderer Fall der Rechnungsprüfung vor, weil er sich nicht durch Steuereinnahmen, sondern über Gebühren finanziert. Durch die Unabhängigkeit vom Staat hätten die Rechnungsprüfer weniger Macht bei der Ausübung ihrer Tätigkeit als bei den anderen Institutionen, die durch Steuern finanziert werden, so Kluge und Becker. „Von den Überschüssen der Rundfunkanstalten fließt grundsätzlich nichts an den Staat“[1], schreiben die beiden Autoren. „Mit dem Kapital, das heute in Rücklagen und in Investitionsfonds der großen Rundfunkanstalten auf eine Verwendung wartet, könnte man die deutschen Rundfunk- und Fernsehprogramme revolutionieren.“[2] Ähnlich argumentiert Günter Rohrbach in seinem Artikel für die Süddeutsche Zeitung vom 28. September 2022, wenn er meint, dass die Redakteure darauf bestehen sollten, „dass jeder Euro infrage gestellt wird, der nicht ins Programm fließt“. Auch er weist auf die Bautätigkeit der Sender hin.[3]
Ab 1963 leitet Alexander Kluge mit Edgar Reitz zusammen die Abteilung für Filmgestaltung an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Die beiden Dozenten besuchen häufiger Hans Bausch in Stuttgart, den Intendanten des Süddeutschen Rundfunks. In der Redaktion „Radio-Essay“ von Helmut Heißenbüttel, den Alexander Kluge 1962 bei der Tagung der Gruppe 47 in Berlin kennenlernt, wird das Hörspiel „Peikert und Bettine. Versuch eines Doppelportraits – Beispiele aus dem beschädigten Leben“ im SDR am 10. Februar 1963 gesendet. Kluges Wertschätzung des Süddeutschen Rundfunks drückt sich ebenfalls in dem Dokumentarfilm „Das Beste an der ARD sind ihre Anfänge. Die ‚Stuttgarter Schule‘ – Dokumentarfilm im 20. Jahrhundert“ von 1990 aus, für den er zusammen mit Meinhard Prill verantwortlich ist. Hier geht es um die „Genietruppe“ um Martin Walser und Helmut Jedele, die in den fünfziger Jahren im SDR den Fernsehbereich mitaufgebaut hat. Die dort etablierte „Hauptabteilung Dokumentation“ ist für Alexander Kluge einzigartig im öffentlich-rechtlichen Bereich.
Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Neuer Deutscher Spielfilmproduzenten bekämpft er das Filmförderungsgesetz von 1968, das in erster Linie etablierte, kommerziell erfolgreiche Produzenten unterstützt. Bei der „Großen Novelle“ des Gesetzes im Jahr 1973 sorgte Kluge dafür, dass die Fernsehanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in erheblichem Maß an der Produktion von Spielfilmen beteiligt werden. Dadurch konnten Autorenfilmer wie Volker Schlöndorff, Wim Wenders, Edgar Reitz, aber ebenso Rainer Werner Fassbinder verstärkt mit dem Fernsehen zusammenarbeiten. Auch Kluge wird durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen gefördert. Seine Kinofilme „Die Patriotin“ von 1979, „Krieg und Frieden“ von 1982 (zusammen mit Volker Schlöndorff, Stefan Aust und Axel Engstfeld) oder auch „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ von 1985 sind unter anderem vom ZDF produziert worden.
Ab Mitte der achtziger Jahre wendet er sich dem Privatfernsehen zu. Mit seiner Firma dctp verwaltet er die Drittsendezeiten auf Sendern wie Sat.1 und RTL. Hier werden Formate wie „Spiegel TV“ oder „stern TV“ ausgestrahlt, aber auch Kluges eigene Kulturmagazine wie „10 vor 11“ oder „News & Stories“. Zusammen mit dem ORB und dem RBB produziert Alexander Kluge zwischen 1992 und 2004 die Reihe „Zur Person“ von Günter Gaus. Die Interviewsendung ähnelt Kluges eigenen Kulturmagazinen; sowohl Gaus als auch er sprechen aus dem Hintergrund mit den Gästen. In Zusammenarbeit mit Gaus, Klaus von Bismarck und Ferdinand Sieger ist das Buch „Industrialisierung des Bewußtseins“ von 1985 entstanden. Dabei handelt es sich um „kritische Auseinandersetzung mit den ‚neuen‘ Medien“. Dort geht es um das aufkommende Privatfernsehen in Deutschland und um die Frage nach dem Eigentum an Öffentlichkeit. In dieser Anfangsphase des privaten Fernsehens in Deutschland sucht Kluge noch den Schulterschluss mit den Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Danach etabliert er seine Vorstellung des Autorenfernsehens unabhängig von den staatlichen Institutionen. Aber auch in der Kooperation mit dem werbefinanzierten Sendern besteht Kluge auf der Autonomie seiner Ideen. Die gesetzlichen Regelungen zu den Drittsendezeiten ermöglichen ihm die unabhängige Gestaltung seiner Programme.
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1 Hellmut Becker, Alexander Kluge: Kulturpolitik und Ausgabenkontrolle. Zur Theorie und Praxis der Rechnungsprüfung. Klostermann: Frankfurt am Main 1961, S. 193.
2 Ebd., S. 195.
3 Günter Rohrbach: Seid ihr noch zu retten? ARD und ZDF waren mal Weltstandard: Aufstieg und Fall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – erzählt von einem, der es wissen muss. In: Süddeutsche Zeitung, 28.9.2022, S. 19.