Das Millionenspiel. | Bildquelle: WDR

Televisionär Wolfgang Menge: Gundolf S. Freyermuths Biografie "Wer war WM?"

Vor 55 Jahren wurde die fiktive Fernsehshow „Das Millionenspiel“ von der ARD ausgestrahlt und sorgte für heftige Reaktionen. Drei Berufskiller jagten einen Kandidaten, dem eine Million als Preisgeld winkte – wenn er das Ziel lebend erreichen würde. Nur einer konnte sich so etwas ausdenken: Wolfgang Menge. Und es war nicht der einzige Skandal, den er mit seinen Sendungen auslöste. In seiner Biografie zeichnet Gundolf S. Freyermuth den Lebensweg und das Lebenswerk des Autors nach, dessen Fernsehspiele Mediengeschichte schrieben.

Buchcover: Gundolf S. Freyermuth: "Wer war WM. Auf den Spuren eines Televisionärs: Wolfgang Menges Leben und Werk". | Bildqueller: Kulturverlag Kadmos
Cover zum Buch von Gundolf S. Freyermuth „Wer war WM. Auf den Spuren eines Televisionärs: Wolfgang Menges Leben und Werk. | Bildquelle: Kulturverlag Kadmos

Der am 10. April 1924 in Berlin geborene Wolfgang Menge war ein journalistisches und schriftstellerisches Multitalent. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie, für die 1933 eine schwere Zeit begann, weil die Mutter Jüdin war. Trotzdem wollte Menge, wie sein Freund und Biograf Gundolf S. Freyermuth schreibt, mit 14 Jahren in die Hitlerjugend eintreten. Aber das war für einen, im NS-Jargon, „Mischling 1. Grades“ nicht möglich. Nach dem Abitur wurde er zwangsrekrutiert und desertierte schließlich kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

In Hamburg begann sein Parforceritt durch die Medien und Genres. „Anderthalb Jahrzehnte lang wechselte Menge seine Jobs so häufig wie seine Lieben“, fasst Freyermuth diese Zeit zusammen. Menge begann als Fotoreporter und schrieb dann für die WELT, den STERN, die ZEIT und auch den SPIEGEL. 1951 trat er als Freier in die Unterhaltungsredaktion des NWDR in Hamburg ein, wo er Kabarettsendungen betreute und auch selbst Texte verfasste. Das war der Anfang seiner Radio- und später Fernsehkarriere. Aber er pendelte noch lange zwischen Pressehäusern und dem NWDR. Auslandaufenthalte als Reporter führten ihn nach England, Japan, Hongkong und China.

Wieder in Deutschland, war er fasziniert von dem neu eingeführten Fernsehen und schrieb von 1958 bis 1968 die Drehbücher der „Stahlnetz“-Krimis, bei denen Jürgen Roland Regie führte. Die Einschaltquote der auf Polizeiakten beruhenden Fernsehspiele lag bei bis zu 90 Prozent. Es gab allerdings lange auch nur ein Fernsehprogramm. Daneben verfasste er auch Drehbücher für mehr und weniger erfolgreiche Kinofilme mit „Gewalt und Sex“, wie Freyermuth es auf den Punkt bringt. Dazu gehören „Strafbataillon 999“ nach einem Roman von Heinz Konsalik, „Unser Wunderland bei Nacht“ über die „sündige Wohlstandsgesellschaft“ und Edgar-Wallace-Krimis.

Unterdessen war er ein gefragter Drehbuchautor. Fast vier Jahrzehnte lang arbeitete er für die Fernsehspielredaktionen der ARD. Sein besonderes Interesse richtete er dabei zunächst auf die deutsch-deutsche Realität. Für eines seiner ersten Fernsehspiele, „Begründung eines Urteils“ (1966), erhielt er den renommierten Jakob-Kaiser-Preis. Menge griff darin die Geschichte eines DDR-Grenzsoldaten auf, der einen Neunzehnjährigen bei einem Fluchtversuch erschossen hatte und ein halbes Jahr später in die Bundesrepublik geflohen war, wo er vor Gericht gestellt wurde. 1969 ließ er in „Die Dubrow-Krise“ ein ganzes DDR-Dorf der Bundesrepublik beitreten und schilderte, fast wie eine Vorausnahme von auf 1989/90, die Probleme, die dabei auftreten würden. Damit hatte er den ersten Schritt zur filmischen Dystopie gewagt, die im „Millionenspiel“ (1970), in „Smog“ (1973) und in „Planübung“ (1977) eskalierte.

Im „Millionenspiel“ nahm er die Menschenverachtung und Sensationsgier des Reality-TV vorweg, die 1988 im Gladbecker Geiseldrama durch gewissen- und skrupellose Reporter zur erschreckenden (Fernseh-)Wirklichkeit wurde. In „Smog“ (mit Wolfgang Petersen als Regisseur) ließ Menge das Ruhrgebiet in einer gewaltigen Luftverschmutzung kollabieren und löste damit massive Proteste von Industriefirmen und Politikern aus, die von der real aufziehenden Gefahr aus verschiedenen Gründen nichts wissen wollten. „Sechs Jahre später“, so Freyermuth, „muss im Ruhrgebiet tatsächlich der erste Smog-Alarm ausgerufen werden. Dabei bestätigen sich einmal mehr die Genauigkeit von WMs Recherchen und sein ungewöhnliches Talent, Alltagsreaktionen auf ‚große Ereignisse‘ zu imaginieren.“ In „Planübung“ gerät ein Manöver mit Krisenszenario der Bundeswehr außer Kontrolle und führt in einen Atomkrieg. Ein familiäres Horrorszenarium schilderte Menge in seiner erfolgreichsten Fernsehserie, in der Heinz Schubert das „Ekel Alfred“ spielte, einen kleinbürgerlichen Familienpatriarchen, der Frau, Kinder, Nachbarn und alle anderen mit seinen Sprüchen und seinem Befehlston terrorisierte. „Ein Herz und eine Seele“, produziert vom WDR, lief in zwei Staffeln mit insgesamt 25 Folgen von 1973 bis 1976 und war auch in der Buchfassung ein Bestseller.

Das Moderationsteam der ersten Stunde (v. l. n. r.) Gerd von Paczensky, Marianne Koch und Wolfgang Menge. | Bildquelle: Radio Bremen/Erika Staats

Als Drehbuchautor blieb Menge im Hintergrund. Als Moderator der beliebten Talkshow „3 nach 9“ von Radio Bremen spielte er von 1974 bis 1982 neben Marianne Koch die Hauptrolle. Marianne Koch hat sehr gern mit ihm zusammengearbeitet (wie sie auf unsere Anfrage schrieb), fand ihn immer originell und liebenswürdig. Die ganze Sendung sei total improvisiert und voller Überraschungen gewesen. Freyermuth bezeichnet Menge dagegen als „unhöflich-grantigen Moderator – schlagfertig, respektlos und bissig. Aus dem Drehbuchautor, der zuvor die Entwicklung der Bundesrepublik als kritischer Kopf, aber mit weitgehend unbekanntem Gesicht begleitet hat, wird im Laufe der Zeit eine öffentliche Figur.“

In seinen Drehbüchern blieb Menge aber weiterhin ein kritischer Geist, der sich immer wieder der deutsch-deutschen Thematik widmete und zum Beispiel 1993 den von Jürgen Holtz gespielten „Motzki“ die deutsche Vereinigung in 13 satirisch-bissigen Episoden kommentierten ließ. Am 3. Oktober 2001 lief sein letztes Fernsehspiel in der ARD über die Grünen-Politiker Petra Kelly und Gerd Bastian.

Gundolf S. Freyermuth schildert in seinem Buch ein spannendes Leben und das bedeutende Werk eines Televisionärs, wie er Wolfgang Menge nennt. Obwohl er gerne betont, dass er mit „WM“ befreundet war, ist es ihm nicht gelungen, alle biografischen Geheimnisse zu lüften. Zum Beispiel wie Menge während des Zweiten Weltkriegs sein Soldatsein erlebte oder welche Tricksereien dazu führten, dass Menge nach dem Krieg in Großbritannien Einreiseverbot erhielt. Das Buch ist mehr als ein Freundschaftsdienst. Es dokumentiert mit sehr vielen spannenden Details und überaus anschaulich ein zentrales Stück deutscher Mediengeschichte. Freyermuths Resümee ist zuzustimmen, wenn er schreibt:

„Herausragende Bedeutung besitzt WMs Werk nicht allein durch klug und furchtlos gewählte Themen und Inhalte. Ebenso nachhaltig ist sein Einfluss als künstlerischer Experimentator. Er fand und erfand über die Jahrzehnte hinweg eine Vielzahl von Formen und Formaten und erneuerte so das Arsenal der Darstellungsweisen, die das Fernsehen in seinen Anfängen von den älteren Medien Theater, Film und Radio übernahm.“

Gundolf S. Freyermuth: „Wer war WM. Auf den Spuren eines Televisionärs: Wolfgang Menges Leben und Werk“, Kulturverlag Kadmos, 496 Seiten

Hans Sarkowicz, Vorsitzender der Historischen Kommission der ARD

Teaserbild: Szenenfoto DAS MILLIONENSPIEL, Buch Wolfgang Menge nach einer Idee von Robert Sheckley, Regie Tom Toelle. (Bildquelle: WDR)

Mehr:
Historische Kommission der ARD – Übersichtsseite