Das Hauptgebäude des öffentlich-rechtlichen „Polskie Radio“ | Imago | ZUMA Press Bildrechte:

Sendepause für rechte Propaganda – Polens Regierung reformiert öffentlich-rechtliche Medien

Von Reinhold Vetter, Warschau

Die Parlamentswahl am 15. Oktober 2023 zählt zu den wichtigsten Ereignissen der polnischen Zeitgeschichte seit dem Umbruch 1989. Denn die Wähler haben mit deutlicher Mehrheit für einen rechtsstaatlichen und politischen Neuanfang gestimmt. Der renommierte polnische Historiker Andrzej Friszke verwies zu Recht darauf, dass Polen gegenwärtig eine Zäsur wie vor 35 Jahren erlebe. So wie damals, betonte er, gehe es auch heute darum, das demokratische System neu zu begründen. Dies sei die entscheidende Aufgabe der neuen Regierung von Donald Tusk und überhaupt der polnischen Gesellschaft.

Das gilt auch und gerade für die öffentlich-rechtlichen Medien, zu denen insbesondere Telewizja Polska, Polskie Radio und die Nachrichtenagentur Polska Agencja Prasowa gehören. Denn die zwischen 2015 und 2023 regierenden Nationalkonservativen der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jarosław Kaczyński hatten diese Medien zu regelrechten Verlautbarungsorganen heruntergewirtschaftet. Besonders in der Hauptnachrichtensendung von Telewizja Polska strömte allabendlich hemmungslose Regierungspropaganda auf die Zuschauer herab – garniert mit verleumderischer Hetze gegen politische Gegner der PiS.

Kaczyński und seine Getreuen betrachteten die öffentlich-rechtlichen Medien wie den ganzen Staat de facto als ihr Eigentum, das sie schonungslos für ihre Machtinteressen instrumentalisierten. Die renommierte polnische Verfassungsjuristin Ewa Łętowska, die zwischen 1987 und 1992 das Amt der Regierungsbeauftragten für die Bürgerrechte ausübte, erinnerte in diesem Zusammenhang sogar an den deutschen Politologen und Juristen Ernst Fraenkel, der am Beispiel Nazideutschlands von 1933 bis 1945 von der Existenz eines Doppelstaates gesprochen hatte. Die demokratische polnische Verfassung, so Frau Łętowska, existierte weiter, und hätte entsprechend interpretiert und angewendet werden können.

Doch durch immer neue, meistens verfassungswidrige Gesetze, betrieben die Nationalkonservativen eine Rechtspraxis, die eben nicht dem polnischen Grundgesetz entsprach. So schufen sie aufgrund eines Beschlusses ihrer Parlamentsmehrheit mit dem Nationalen Medienrat ein verfassungswidriges Organ, das dann weitgehend mit Parteigängern der PiS besetzt wurde. Diesem übertrugen sie die bisherigen Kompetenzen des in der Verfassung verankerten Landesrats für Rundfunk und Fernsehen, der bis dato alle wesentlichen Entscheidungen für die öffentlich rechtlichen Medien getroffenen hatte und dessen pluralistische Zusammensetzung auch verfassungsrechtlich geregelt ist.

Schon bald nach dem Amtsantritt der neuen Regierung besetzte Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz die Chefposten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Radio neu und überführte die Sender in Liquidation, was bedeutete, dass sie vorerst weiter arbeiten konnten bis zur geplanten Verabschiedung eines neuen Rundfunkgesetzes, das die Struktur der Sender neu regeln soll. In diesem Zusammenhang werden verschiedene Modelle diskutiert, auch das der deutschen ARD mit entsprechenden Gremien wie Rundfunkrat und Verwaltungsrat.

Da die drei genannten öffentlich-rechtlichen Medien im Besitz des Staates sind, wird dieser durch den Kulturminister vertreten, der dann auch Verwaltungsratsfunktionen übernehmen kann. Das ist in der Verfassung und auch der Gesetzgebung für Wirtschaftsunternehmen geregelt. Das Vorgehen des Kulturministers wurde von renommierten polnischen Juristen wie etwa Marek Safjan verteidigt, der zwischen 2009 und 2024 als Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tätig war. Auch Ewa Łętowska äußerte sich in diesem Sinne. Gleichzeitig plädiert beide für eine möglichst baldige parlamentarische Verabschiedung eines neuen Rundfunkgesetzes.

Anders reagierte das polnische Verfassungsgericht, das die vom Kulturminister eigeleiteten Veränderungen für verfassungswidrig erklärt. Nichts anderes war in der polnischen Öffentlichkeit erwartet worden, da die bis 2023 regierenden Nationalkonservativen durch allerlei verfassungsfeindliche Manöver die Zusammensetzung dieses Gerichts in ihrem Sinne verändert hatten. So gelangte nicht zuletzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aufgrund der Rechtspraxis des von PiS dominierten Gerichts, dass dieses Anforderungen an ein faires und unabhängiges Gerichtsverfahren nicht garantieren könne.

Entsprechend erklärte das Kulturministerium das Urteil des Verfassungsgerichts für fehlerhaft. In einer Erklärung des Ministeriums hieß es: „Das Urteil in Bezug auf öffentliche Radio- und Fernsehsender hat keine rechtliche Bedeutung. Es gibt Urteile und Beschlüsse des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des Obersten Gerichtshofs Polens, die bestätigen, das es sich nicht um eine unabhängige Institution handelt.“

Als wollten sie ihr „Eigentum“ verteidigen, besetzten Funktionäre und Anhänger der PiS gleich nach der Entscheidung des Kulturministers die Eingänge zum zentralen Gebäude von Telewizja Polska im südlichen Warschau und auch zu dem Gebäude im Zentrum der Stadt, von dem aus die abendliche Hauptnachrichtensendung ausgestrahlt wurde. Aber mehr als die Verlegung des Studios für die Nachrichtensendung konnten sie nicht erreichen. Der Einsatz von Polizeikräften sorgte schließlich auch dafür, dass die Besetzung ein Ende hatte. Im Ergebnis hat die abendliche Sendung pluralistischen Charakter angenommen, wenngleich es mitunter noch an Professionalität mangelt. Aber dabei geht es um fachliche Schwächen, nicht um ideologische Manöver wie bei PiS.

Damit sind aber nationalistische bzw. rechtslastige Agitation und Propaganda sowie die Manipulation von Nachrichten nicht vollständig aus der polnischen Fernsehwirklichkeit verschwunden. Diese „Aufgabe“ erfüllt jetzt Telewizja Republika, bei der das ehemalige Führungspersonal und die bisherigen ModeratorenInnen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens untergekommen sind. Die Reichweite dieses Propagandasenders geht bislang aber nicht über 3 Prozent hinaus.

Reinhold Vetter: Historiker und Politikwissenschaftler, langjähriger Korrespondent deutscher bzw. deutschsprachiger Medien in Warschau und Budapest, insbesondere des ARD-Hörfunks sowie der Neuen Zürcher Zeitung und des Handelsblattes, Autor zahlreicher Analysen zu Zeitgeschichte und Politik in Ostmittel- und Südosteuropa, zuletzt von ihm erschienen: Polen im 21. Jahrhundert. Angekommen im europäischen Gemeinwesen – oder unterwegs auf nationalistischen Sonderwegen. Baden-Baden 2023.

Mehr:
Historische Kommission der ARD – Übersichtsseite