Peter Rühmkorf | Bildquelle: imago/teutopress

Ein Liebesverhältnis zum Rundfunk – Der Schriftsteller Peter Rühmkorf als „multimedialer“ Visionär

Von Stephan Opitz

Der Rundfunk hatte es Rühmkorf früh angetan; schon der Heranwachsende hörte aufmerksam Radio (vor allem Jazz ab 45) und der junge Schriftsteller, der sich in den 50ern anschickte, ein großer Lyriker und bedeutender Essayist zu werden, wusste sehr früh um die Bedeutung des Mediums. Sehr grundsätzlich und sehr klug differenzierend äußerte er sich zum Rundfunk bereits 1958 in der 14. Ausgabe des sagenhaften Lyrik-Schlachthofs, jener literaturkritischen Essay-Reihe im Studentenkurier, der späteren Zeitschrift konkret:

Was ist es denn, was der Funk braucht, fördert und ansaugt? Was, wenn nicht das Schnell- und Glatteingängige, das auf einmaliges Hören Abgestimmte?! Es gibt Ausnahmen. Da sendet man auch Lyrik zu bestimmten Anlässen. Aber der Funk lebt nicht von Gedichten, Gedichte liegen hier noch fast außerhalb der Randzone, so werden er oder sie, die ihr dichterisches Debüt im Vers antraten und die, kraft ihrer Lyrik, zum Dichter geschlagen wurden, allmählich auf das lyrische Hörspiel gelenkt. Wieder einmal: Nichts gegen gute Hörspiele, aber Nachfrage und Bezahlung scheinen hier noch den Charakterfestesten nach und nach zu determinieren und die Basen zu unterspülen: Die Sprache, aufs momentane Gehör zielend, wird lockerer, weitmaschiger, dünner. Kein Weg zurück vom >>Geh nicht nach El Kuweit<< zu >>Geh aber nun und grüße die schöne Garonne<<, keiner vom >>guten Gott von Manhattan<< zu >>Fall ab, Herz, vom Baum der Zeit<<. Achten Sie doch bitte darauf, was Günther Eich oder Ingeborg Bachmann in Zukunft an Lyrischem vorlegen! werden. Hier nämlich ist gut und sicher prophezeien, daß sich nichts Sonderliches mehr ereignen wird, und auch Karl Krolow, der am Funkessay das Ausdünnen lernte, wird nie wieder ein kompaktes Stück Erläuterprosa vorlegen.
  
Funk korrumpiert so peu à peu Mark und Meinung, Form und Gestalt, und am Ende erscheint das Schöpferische abgelöst durch den Surrogat-kreißenden Ersatzmann. Letzterer, mit seiner Begabung für vordergründigen Appeal, steht heut durchaus im Vordergrund. Abgebrochene Dichter am Drücker: Das kennen wir und ihre Protektionen sowohl wie ihre sagenhafte Eifersucht auf alles, was sich noch nicht korrumpieren ließ und nicht trimmen auf radiogene Konzilianz und Massenverbindlichkeit. Wer zählt die Sender, nennt die Namen? – aber auch die sich das exzeptionelle Maul verbrennen sind immer die gleichen. Tatsächlich stellt der Funk so etwas dar wie die technisch und ökonomisch bestbestallte Bastion der Restauration. Hier findet sich und bestimmt im Politischen und Künstlerischen das Mindestmaß an Eigenmeinung, hier macht sich der Kompromiß so breit, wie die Skala reicht, hier feiert einen Triumph an Dauerbeschäftigung die agil-verantwortungslose Macherschaft, die im Optimalfall dreigestrichene Bildung als Gipfel des Geistigen ausgibt und herausstellt, die aber nie mit dem Mut und der schöpferischen Widerborstigkeit dienend paktieren wird.
  
>>Kein Platz für wilde Tiere<<: Hier gilt es, alles über einen Hauptgesichtspunkt zu förstern, den der schicklichen Unterhaltung. Was für das Kulturprogramm heißt, eine Rast und Erholungsstätte für den vom Arbeitskonsum Geschwächten zu sein. Funk ist außerdem weder Bekenntnis- noch Experimentieranstalt, Funk heißt auf Nummer Sicher setzen und das Skandalöse um jeden Preis vermeiden. Funk zahlt also gut, wenn es gilt, das Außerordentliche ins Ordinäre zu erniedrigen.
  
 Rühmkorf erkannte, wie die Passage deutlich zeigt,  früh, dass Rundfunk und Radio die einzigen tatsächlich kulturaffinen Massenmedien darstellen: Im Rundfunk sind Schlager und Gedicht gleichermaßen aufgehoben. Im Rundfunk kommt auch das in Teilen Talentfreie zu Wort. Und, der öffentlichen Gebührenfinanzierung sei es gedankt, Rundfunk hilft damit breit gestreut auch finanziell.

Das hatte Rühmkorf früh verstanden und Reich-Ranicki machte er z.B. ganz zu Beginn ihrer beider Zusammenarbeit, schon im August 1974, klar, dass er, Rühmkorf, „seine Sachen immer erst über Funk laufen lasse,  um wenigstens einigermaßen zum Äquivalent zu kommen. Ich möchte deswegen anregen, in diesem Ausnahmefall wie Rezension zu bezahlen.“ Es ging um einen Beitrag zum Ringelnatz Gedicht ‚Vorm Brunnen zu Wimpfen‘ für die Frankfurter Anthologie. Rühmkorf konnte ebenso höflich wie deutlich in eigener Sache verhandeln. Und der Rundfunk war für ihn ein aus seiner Perspektive gut bezahlter Probelauf für Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften oder gar in Büchern.

Während der Jahre zwischen 1965 und 1975 hatte Rühmkorf eine Schaffenskrise; er schrieb in dieser Zeit keine Gedichte. Er wollte als Dramatiker reüssieren, was nicht klappte. Aber ein Hörspiel gelang ihm: Im Sperrmüll. Dass er Post vom WDR dazu bekam, kommentierte er im (unveröffentlichten) Tagebuch, Eintrag vom 15.5.1974):  WDR: „Sperrmüll“ „Besonders schönes Hörspiel“. Jetzt kann ich wieder arbeiten! (Ich hân mîn Lehen!) Eine Basis! Im Funk. Mein Leser (hier: ich) versteht die ganze Künstlichkeit dieses Triumphes. Kein Fernsehspiel, keine Theateraufführung, kein Bühnenerfolg – sondern nur: 1 Hörspiel angenehm + freundlich aufgenommen! Aus welchem Keller komme ich! Tendenzwende! Und nichts aufgrund Fortüne, sondern Knochenarbeit im Kohlenbunker.

Diese Anerkennung in damaliger Zeit kann man kaum hoch genug einschätzen; Rühmkorf litt sein Leben lang unter mangelnder Anerkennung. Die ihm Rundfunk (und auch späterhin Fernsehen) zuweilen verschaffen konnte.  

Dass er die eigene und spezifische ästhetische Dimension des Mediums Radio umfassend verstanden hatte, belegt eine spätere Passage aus dem unveröffentlichten handschriftlichen Tagebuch. 07.12.1980: „Im Radio: Berichte von Schnee, während es schneit: das schafft gleich eine neue Dimension (der innere Schneemann).“

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