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Rede von Cara Platte zur Zukunft der ARD

„Lügenpresse“ | „Die Medien sind doch sowieso alle gesteuert.“

Cara Platte. | Bildquelle: Benny Platte

Diese Sätze begegnen mir in meinem Umfeld und Alltag immer häufiger. Laut einer Studie aus dem Jahr 2025 berichten 37 % der deutschen Bundesbürger:innen über ein gesunkenes Vertrauen in die Medien. In den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben sogar 42 % wenig bis gar kein Vertrauen. Woher kommen diese Zahlen?

Die ARD feiert heute ihr 75-jähriges Bestehen. Es ist ein Abschied von der Vergangenheit und gleichzeitig das Begrüßen einer neuen Zukunft.
Und so ist das 75-jährige Jubiläum nicht nur ein guter Moment, um zurückzublicken, sondern auch nach vorn. Denn welche ARD wollen wir in den nächsten 75 Jahren?

Wir wollen eine ARD, die Partizipation ermöglicht.

Wir wollen eine ARD, die nicht nur sendet, sondern auch zuhört. Die nicht nur Debatten begleitet, sondern selbst Debattenraum ist. Das Misstrauen gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk begründet sich hauptsächlich darin, dass Menschen Politik und Medien als etwas erleben, das ihnen passiert. Nicht als etwas, das sie gestalten.

Heute, 35 Jahre nach der Wiedervereinigung, ist die Wahlbeteiligung in Westdeutschland höher als in Ostdeutschland. Ebenso ist das Vertrauen in die Medien im Westen deutlich höher als im Osten. Das sollte uns nachdenklich machen. Viele Ostdeutsche fühlen sich im medialen Bild seziert, observiert und kritisiert. Medien sind für diese Menschen eben nichts, das man gestaltet, sondern das einem passiert.

Doch eine Demokratie ist nur so gut wie die Beteiligung ihrer Mitglieder. Wir wollen eine ARD, die diese Partizipation ermöglicht, die ein Ort ist, an dem die unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch kommen – wertschätzend, offen und auf Augenhöhe – ganz egal, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht, ost- oder westdeutsch sind, queer oder hetero, alt oder jung.

Ich selbst bin Teil einer Generation aus „digital Natives“, die mit dem Internet und den Sozialen Medien aufgewachsen ist. Ich bin Teil einer Generation, die hyped und liked, einer Generation, die posted und ghosted, die klickt und verschickt. Weniger die abendliche Tagesschau prägte unsere Kindheit als mehr die Instagram-Äquivalente, Y-Kollektiv, funk, WDR Zeitzeichen und Radio Wissen. Denn genauso wie sich die Gesellschaft von Generation zu Generation wandelt, verändert sich auch die ARD.

Wie ich, setzt sich meine Generation immer seltener vor den Fernseher, um durch die verschiedenen Sender zu zappen. Medien sind bei uns keine aktive Entscheidung des Vor-den-Fernseher-Setzens mehr, sondern die Luft, die wir atmen. Weniger feste Rituale verankern die ARD im Leben junger Menschen als mehr die pure Alltäglichkeit ihrer Formate: Die erste Bewegung des Morgens ist der Griff zum Handy, um in der zusammengefassten Version der Tagesschau zu sehen, was in der Welt passiert ist. Die funk-Reportage flimmert über den Handy-Bildschirm, während wir unser Porridge essen, Radio Wissen tönt in unseren Ohren, während wir mit dem Fahrrad zur Schule oder Arbeit fahren.

Denn meine Generation ist nicht desinteressiert – ganz im Gegenteil. Wir sind wissbegierig, kritisch, engagiert. Wir wollen informiert werden. Nur: Wir wollen es anders.

Wir wünschen uns eine ARD, die Neues ausprobiert – ohne Angst davor zu scheitern, die neuen Perspektiven Raum bietet, die in Vielfalt und Diversität kein Symbol, sondern den Ursprung von Modernität und Wandel sieht.

Wir wünschen uns eine ARD, bei der es um Unterhaltung, aber auch um Haltung geht. Die den Journalismus erklärt und besonders für die greifbar macht, die sich ihm ablehnend verschließen, aber auch für die, die gerade erst anfangen, sich in dieser komplexen Welt zurechtzufinden, die Orientierung bietet und Wissen vermittelt. Für mich selbst waren Podcasts der Zugang zu Welt und Wissen. Für meinen kleinen Bruder waren es Instagram- und TikTok-Formate – und bei der Generation danach werden es vielleicht digital-immersive Räume des Wissens und des Austauschs sein. Wer kann das heute schon sagen?

Die ARD ist 75 Jahre alt – und genau deshalb jung genug, um sich immer wieder neu zu erfinden.

Cara Platte beim Senatsempfang. | Bildquelle: Radio Bremen

Sie ist nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft, sondern kann ein Raum werden, in dem sich diese Gesellschaft selbst erkennt, reflektiert – und weiterdenkt.

Nicht jede Kritik ist falsch. Nicht jedes Misstrauen ist unbegründet. Aber gerade deshalb braucht es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich dieser Kritik stellt, zuhört, mitgestalten lässt – und dadurch Vertrauen zurückgewinnt.

Meine Generation wächst nicht mit der einen Stimme auf, die abends um 20 Uhr die Welt erklärt. Wir wachsen auf mit vielen Stimmen – und wir wünschen uns, dass auch die ARD eine davon ist: glaubwürdig, neugierig, mutig.

Denn Medien, die Menschen nicht nur informieren, sondern mitnehmen, stärken unsere Demokratie. Und in Zeiten, in denen Fakten hinterfragt, Realitäten relativiert und Wahrheiten verhandelt werden, ist genau das wichtiger denn je.

Eine demokratische Gesellschaft muss bereit sein für diese Veränderungen. Eine demokratische ARD muss bereit sein für diese Veränderungen.

Sind Sie es auch?

Cara Platte, Schriftstellerin und Studentin der Soziologie und Germanistik

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