Der Saarländische Rundfunk in der ARD
Von Thomas Bimesdörfer (SR)
1950 haben sich die bestehenden Landesrundfunkanstalten der neu entstandenen Bundesrepublik Deutschland (und West-Berlins) zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Die ARD feiert demnach in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag. Zwei Dinge fallen bei diesem Datum auf. Zum einen: bei Gründung war die ARD noch ohne reguläres Fernsehprogramm, was sich aber bald, nämlich schon gut zwei Jahre später, ändern sollte. Und zum anderen fehlte der Saarländische Rundfunk. Der gehört erst seit 1959 zur Senderfamilie. Das hat viel mit Politik und der deutschen Nachkriegsordnung zu tun. Aber auch mit Frankreich.
1950, im Gründungsjahr der ARD, gab es auch noch keinen Saarländischen Rundfunk. Zu diesem Zeitpunkt sendete Radio Saarbrücken auf Mittelwelle 1421 kHz gleich 211 Meter. Überraschend optimistisch für eine vom Weltkrieg gezeichnete Montanregion war das Pausenzeichen, die ersten Töne des Volksliedes „Kein schöner Land in dieser Zeit“. Um die Frequenz allerdings war der Saarbrücker Sender zu beneiden. Anders als andere deutsche Stationen, die 1948 auf der Kopenhagener Wellenkonferenz eher stiefmütterlich behandelt worden waren, hatte die französische Delegation für das Saarland eine vergleichsweise starke und damit weit reichende, Tag und Nacht gut empfangbare Frequenz durchgesetzt.
Was nicht ohne Absicht geschah. Frankreich hatte Pläne mit dem Saarland. Und für Pläne will geworben sein.
Schon seit 1946 war das Saarland nicht mehr Teil des französischen Besatzungsgebietes, sondern auf dem Weg zu einem wirtschaftlich eng an Frankreich gebundenen, politisch teilautonomen Staat mit eigener Verfassung, eigener Staatsbürgerschaft, einer eigenen Olympiamannschaft in Helsinki 1952 und zeitweise auch eigener Währung.
Den eigenen Rundfunk gab es dann spätestens ab Oktober 1952, als die Saarländische Rundfunk GmbH gegründet wurde.
Zu Weihnachten 1953 begann auch im Saarland das TV-Zeitalter, das Programm hörte auf den Namen „Telesaar“ und wurde betrieben von der „Saarländischen Fernseh AG“. Damit sendete aus Saarbrücken das erste deutschsprachige Privatfernsehen überhaupt. Geld dafür kam hauptsächlich aus französischen Kassen, in Form von Konzessionszahlungen für den Betrieb eines starken Langwellensenders, in Sichtweite der Grenze gelegen. Von dort erreichte er als Peripheriesender „Europe 1“ sein Publikum bis ins Midi.
Im Laufe der fünfziger Jahren hatte sich das Saarland also umständehalber zu einem erstaunlich ausdifferenzierten Rundfunkstandort entwickelt, der mehr von westeuropäischen als von westdeutschen Einflüssen geprägt war.
Mit der zweiten Saarabstimmung 1955 orientierte sich das Saarland gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch zunehmend an der Bundesrepublik Deutschland und wurde schrittweise 1959 zum föderalen Bundesland, wie es noch heute eines ist.
Für den Saarländischen Rundfunk begann der Weg in die ARD im November 1956 mit dem Erlass des Gesetzes Nr. 538 durch den Landtag. Es regelte die Umwandlung der GmbH in eine Anstalt des öffentlichen Rechts nach westdeutschem Vorbild und trat zum 1.1.1957 in Kraft. Der Saarbrücker Medienhistoriker Clemens Zimmermann nennt diese Entwicklung einen Weg „von der Staatskanzlei zur Staatsferne“.
Die Geschichte des SR und der ARD werden nun gemeinsam geschrieben.
Bereits im Juni 1957, der SR ist noch kein offizielles ARD-Mitglied, wird der frisch gewählte Intendant Franz Mai, ein Intimus von Bundeskanzler Adenauer, von kecken Journalisten gefragt, ob das kleine Saarland unbedingt eine eigene Rundfunkanstalt brauche. Seine Antwort war ein leidenschaftliches „ja“, denn kein anderer Sender könne die Aufgabe lösen, aus Kenntnis der französischen Mentalität und einer europäischen Erfahrung, die geistige Begegnung an der Nahtstelle beider Völker fruchtbar zu machen.
Beides, die Frage und die Antwort, begleiten den SR seither.
Sucht man in den Archiven nach langen Verhandlungsnächten oder großen publizistischen Redeschlachten zum Eintritt des Saarländischen Rundfunks in die Arbeitsgemeinschaft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das Ringen um Details oder Kompetenzen, so findet man erstaunlich wenig.
Wichtig und bis heute konstituierend war die Entscheidung der ARD-Intendanten im Dezember 1958, den finanzschwachen Anstalten (zu denen auch das neue Mitglied von der Saar gehören würde) einen monetären Ausgleich zu gewähren. Eine bis heute gültige, wichtige und im Kern unumstrittene Regelung.
Ansonsten verlief die Integration des SR nach dem offiziellen Beitritt im Mai 1959 erfreulich geräusch- und reibungslos. Anfänglich jedenfalls.
Im September 1959 übernimmt der SR das Fernsehprogramm der ARD, das Privatfernsehen im Land verliert die Konzession. Ein Nachbeben hat diese frühe kommerzielle Episode im Streit um die „Freie Rundfunk AG“ (FRAG) bereits wenige Jahre später. Als erstes Bundesland schuf das Saarland 1964 eine gesetzliche Möglichkeit zur Veranstaltung von privatem Rundfunk. Den darauffolgenden Antrag der FRAG auf Erteilung einer Konzession lehnte die Landesregierung jedoch ab. Ein Rechtsstreit entbrannte, der erst 1981 durch das Bundesverfassungsgericht beendet wurde. Sein so genanntes drittes Rundfunkurteil gilt seither einerseits als juristischer Grundstein für die duale Rundfunkordnung. Durch strenge Vorgaben unterstreicht es andererseits aber gleichzeitig auch die große Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Meinungsvielfalt und damit für die Gesellschaft.
Ab 1960 liefert das kleine Funkhaus im Saarbrücker Osten eigene Produktionen ins Gemeinschaftsprogramm der ARD. Anfänglich ungeregelt, später dann anhand eines Programmschlüssels. Auch den gibt es heute noch.
Im Dezember 1963 kommt es zur veritablen Beziehungskrise. Der finanziell nicht auf Rosen gebettete SR sieht sich einer immer größeren Konkurrenz auf dem Hörfunkmarkt ausgesetzt. Die privatwirtschaftlichen Nachbarn von Radio Luxemburg sind auch im Saarland erfolgreich. Auf dem Halberg, noch heute Sitz des SR, werden Pläne geschmiedet und in die Tat umgesetzt. Das Mittelwellenprogramm verändert sich, Stichworte wie Magazinierung, Musikorientierung und Begleitprogramm gewinnen an Bedeutung. Aber vor allem die so genannte „Streuwerbung“ außerhalb genau definierter Sendezeiten erhitzt die Gemüter der anderen ARD-Intendanten. Die frisch aus der Taufe gehobene „Europawelle Saar“ klingt vielen zu kommerziell. Saarbrücken vollziehe einen „öffentlich-rechtlichen Sündenfall“, die Presse schreibt von einer „Rebellion der Verarmten“, die ARD droht mit Ausschluss. Der dann doch ausbleibt. Das Konzept ist erkennbar zu erfolgreich dafür. Nicht zuletzt auch durch die starke Mittelwellenfrequenz, die der SR bekanntlich französischem Engagement verdankte.

Im ARD-Gemeinschaftsprogramm vermag der SR in den sechziger Jahren durch Unterhaltungssendungen Akzente zu setzen. Wichtige französische Stars wie Francoise Hardy oder Gilbert Bécaud erreichten ein deutsches Publikum durch Produktionen des Saarländischen Rundfunks.
Die Tour de France wird zu einem bundesweiten Markenzeichen und Aushängeschild der SR-Sportredaktion im Ersten.
Bereits die zweite Folge der ARD-Erfolgsreihe „Tatort“ kommt vom Saarländischen Rundfunk. „Saarbrücken an einem Montag“ läuft am 13. Dezember 1970 über die Bildschirme des Ersten Deutschen Fernsehens. Die Handlung (nach einem tatsächlichen Kriminalfall) hat einen erkennbaren französischen Einschlag. Bösewicht ist ein früherer Fremdenlegionär, gedreht wurde auch im grenznahen Lothringen.
Jochen Senf als Saarbrücker Hauptkommissar Palu mit Fahrrad, Baguette und viel Vin Rouge hat in insgesamt 18 Tatort-Folgen das frankophone Image des Saarländischen Rundfunks in der ARD mit einem ironischen Augenzwinkern ebenfalls nachhaltig geprägt.
2007, unter dem ARD-Vorsitz des SR-Intendanten Fritz Raff, verabschiedete die ARD in Saarbrücken eine bis heute relevante Digitalstrategie. Sie „beschreibt ein Themenspektrum vom hochauflösenden Fernsehen HDTV und Handy-TV über ein Audio- und Videoportal bis hin zu digitalen Zusatzangeboten im Hörfunk“. Das klang damals noch sehr nach Zukunft, heute ist es programmlicher Alltag.

ARD und SR, das ist also nicht nur Vergangenheit. Aber ein passendes Zitat zum Schluss kommt dann doch aus dem Jahr 1971, als die medienpolitische Diskussion über eine Neuordnung der ARD wieder einmal hohe Wellen schlug. Es stammt vom damaligen langjährigen saarländische Ministerpräsident Franz Josef Röder:
„Mit Stolz können wir feststellen, dass das Programmangebot des Saarländischen Rundfunks einen ebenbürtigen Platz in der Programmvielfalt der deutschen Rundfunkanstalten einnimmt.“
Mehr:
„75 Jahre ARD“ – Eine Serie der „Historischen Kommission der ARD“